top of page

Warfare (2025) denkt den Kriegsfilm radikal neu

  • Autorenbild: Florian Wolf
    Florian Wolf
  • 16. Apr.
  • 6 Min. Lesezeit

Warfare (2025) zeigt den Krieg als Funktion und Ausnahmezustand – und verweigert sich jeder Form von Narration, die Sinn behauptet.


Filmposter zum Film Warfare (2025)
© Leonine

Erst im vergangenen Jahr brachte Regisseur Alex Garland mit Civil War (2024) seinen ersten Kriegsfilm in die Kinos – ein Werk, das bereits im Vorfeld für Kontroversen sorgte, nicht zuletzt aufgrund seines programmatischen Titels. Der Film begleitet eine Gruppe von Kriegsreportern durch ein zersplittertes Amerika im inneren Ausnahmezustand, in dem selbst für ortskundige Beobachter die Frontverläufe und ideologischen Lager zunehmend unkenntlich geworden sind. Abgesehen davon, dass es sich um die bislang kostspieligste Produktion des Indie-Studios A24 handelt, war es vor allem dieser Titel, der Erwartungen weckte und Kritiker auf den Plan rief. Die einen warfen dem Film eine politische Ausweichbewegung vor, weil er keine klare Haltung beziehe und seine dystopische Ausgangslage nie vollständig auflöse; andere wiederum erkannten in ihm den ernsthaften Versuch, jenes Szenario eines Bürgerkriegs – lange Zeit dem globalen Süden zugeschrieben – nun auf den Boden der Vereinigten Staaten zu projizieren.


Doch viele dieser Kritiken scheinen verkannt zu haben, worum es Garland in Civil War (2024) tatsächlich ging – und welche Perspektive er dabei einnahm. Ähnlich wie nun in seinem neuen Werk Warfare (2025) entschied sich Garland für eine gezielte, beinahe klinische Beobachtungsweise, die seinem Erkenntnisinteresse am meisten entsprach. Civil War ist kein politischer Kommentar im klassischen Sinne, sondern ein Film über die mediale Produktion von Kriegsbildern: über ihre Entstehung, ihre Urheber – und ihre Wirkung. In einer Gegenwart, in der jeder über sein Smartphone zum Zeitzeugen und Bildproduzenten werden kann, erhält diese Fragestellung eine neue Dringlichkeit. Wir alle laufen Gefahr, zu Reproduzenten von Gewaltbildern zu werden; umso bedeutsamer wird die Rolle professioneller, verantwortungsvoller Berichterstattung. In dieser Hinsicht lässt sich Civil War (2024) produktiv im Lichte von Susan Sontags Das Leiden anderer betrachten lesen.


Garland zeigt mit Civil War zudem, dass jeder Film über Krieg – insbesondere über Kriegsreportage – auch eine selbstreflexive Auseinandersetzung mit dem Medium Film sein muss. Denn jede Repräsentation von Gewalt ist stets auch eine Frage der Perspektive, der Auswahl und der ethischen Positionierung. In Warfare (2025), der am 17. April in den deutschen Kinos startet, führt Garland diese Überlegungen weiter – nun allerdings auf das Terrain der militärischen Realität selbst.


Was Warfare dabei so bemerkenswert macht, ist seine bewusste Distanzierung von den Konventionen des Genres. Der Film weiß genau, wie Krieg in Hollywood inszeniert wird – und verweigert sich dieser Inszenierung. Die gängigen Tropen, an die das Publikum seit Jahrzehnten gewöhnt ist, fehlen hier fast vollständig. Schon die Soldaten, denen wir folgen, bleiben schemenhaft: Sie erhalten keine biografische Tiefe, keine familiären Hintergrundgeschichten, keine individuellen Motive. Die Gruppe, durchweg besetzt mit aufstrebenden Hollywood-Stars, ist funktional organisiert – einer ist Funker, einer Scharfschütze, einer führt das Kommando. Persönliches spielt keine Rolle. Garland zeigt die Mechanik des Militärs als System der Gleichschaltung: Individualität, Freiheit und kritisches Denken – jene Tugenden, die in einer demokratischen Gesellschaft den selbstbestimmten Bürger auszeichnen – haben hier keinen Platz. Garland und Co-Regisseur Ray Mendoza zeigen, wie aus Individuen Soldaten werden.


Bemerkenswert ist zudem, dass Garland diesmal mit Ray Mendoza einen Ko-Regisseur an seiner Seite hat. Mendoza, selbst ehemaliger Soldat, bringt nicht nur seine Erinnerung, sondern auch seine Auge für das Detail in das Projekt ein. Der gesamte Film basiert auf Mendozas realer Erfahrung als Teil eines Einsatzkommandos im Irak.


Der Film rekonstruiert die Ereignisse des 19. November 2006 während des Irak-Kriegs, der unter der Regierung George W. Bushs als vermeintliche Vergeltung für die Anschläge vom 11. September geführt wurde. Warfare stellt dieses Kapitel der Geschichte jedoch nicht explizit in den Mittelpunkt, sondern inszeniert es als Subtext, als stetig mitschwingende Realität. Im Zentrum steht das unmittelbare Erleben der Soldaten – doch auch das Politische bleibt spürbar präsent. 


Krieg, so macht der Film unmissverständlich klar, ist hier weder heroisch noch moralisch legitimiert. Garland und Mendoza meiden jede Form der romantisierenden Überhöhung. Ihr Film verzichtet auf eine klassische Dramaturgie, auf dramaturgisch aufgeladene Missionsziele oder moralisch legitirte Opfer. Stattdessen konzentriert sich Warfare auf Atmosphäre, Unmittelbarkeit und Desorientierung. Warum diese Männer kämpfen, wofür sie ihr Leben riskieren – diese Fragen bleiben unbeantwortet. Die Kamera zeigt keine Geländegewinne, keine heroischen Akte. Gegnerische Kämpfer fallen nicht reihenweise wie in Ego-Shootern, sondern bleiben oft unsichtbar – der Tod kommt leise, abrupt, ohne Vorwarnung.


Gerade Mendoza war es wichtig, eine authentische Perspektive zu zeigen – nicht im Sinne dokumentarischer Realität, sondern als dichte Rekonstruktion eines subjektiven Erlebens. Warfare ist kein Abbild des Krieges, sondern die kinematografische Umsetzung einer Erinnerung. Und gerade in seiner Konzentration auf scheinbare Nebensächlichkeiten – die Bewegungen der Soldaten, die Details der Ausrüstung, die Materialität der Uniformen – entfaltet der Film seine Authentizität. Es ist diese dichte, atmende Atmosphäre, die sich auf das Publikum überträgt. 


Ein besonderes Verdienst des Films liegt im meisterhaften Sounddesign: Explosionen erschüttern nicht nur die Leinwand, sondern auch den Körper des Zuschauers – und was darauf folgt, ist keine orchestrierte Dramatik, sondern Stille. Eine Stille, die schneidend ist, bedrückend, beinahe körperlich spürbar. Zwar wurde mit diesem Kontrast auch in früheren Filmen gearbeitet, doch selten war er so wirkungsvoll eingesetzt wie hier. Warfare nutzt diese Momente, um die Wahrnehmung zu entschleunigen – dort, wo andere Filme beschleunigen, tritt Garland auf die Bremse. Der Verzicht auf einen extradiegetischen Score unterstreicht diesen Ansatz. Es gibt keine Musik, die das Publikum in eine bestimmte emotionale Richtung lenkt, keine patriotischen Klänge, die Heldentum suggerieren. Wenn ein Soldat verwundet wird, schreit er nicht für den Effekt – er schreit minutenlang, durchdringend, verstörend. Auch die Wunden werden gezeigt – ungeschönt, konkret –, um dem Zuschauer jede Illusion von „sauberem“ Krieg zu nehmen.


Diese Klarheit spiegelt sich auch in der emotionalen Entwicklung der Figuren. Zu Beginn erleben wir die Soldaten bei ausgelassener Stimmung, tanzend zu einem Musikvideo. Doch spätestens nach 90 Minuten ist jedes Lachen verstummt. An seine Stelle tritt ein stummer Ausdruck von Erschöpfung, Angst und Verzweiflung. Hervorzuheben ist auch das sorgfältige Production Design: Als die Soldaten ein Haus besetzen, schlagen sie Wände ein, verändern dessen Struktur, um sich taktisch zu schützen – ohne Rücksicht auf das Eigentum oder die Privatheit der Bewohner. Der Krieg verwandelt das Heim in ein militärisches Dispositiv, macht aus Innenräumen Kampfzonen. 


Ob Warfare (2025) ein Antikriegsfilm ist? Die Antwort ist vielschichtig. Ja, der Film ist in seinem Kern ein Antikriegsfilm – radikal, deutlich, erschütternd. Wer diesen Film verlässt und darin ein Spektakel erkennt, hat ihn nicht verstanden. Er zeigt Krieg als Absurdität, als Entmenschlichung, als sinnentleerten Ausnahmezustand. Zugleich aber ist der Film auch solidarisch mit den Soldaten – als Menschen, nicht als Helden. Es sind junge Männer, viele kaum erwachsen, die in eine Situation geraten, die per se unmenschlich ist. Manche werden sterben, andere werden körperlich oder seelisch gezeichnet überleben. Auch das ist Teil dieser Wahrheit.


Und doch erlaubt sich Warfare am Ende eine Zäsur, die nachhallt – nicht wegen ihrer Wirkung, sondern wegen ihres Bruchs mit der zuvor so konsequent gewahrten Haltung. In einer Split-Screen-Montage werden die fiktional dargestellten Soldaten den realen Veteranen gegenübergestellt – ein klassisches Mittel dokumentarischer Authentifizierung. Plötzlich rückt der Film jene ins Zentrum, deren Perspektive er zuvor bewusst in das Funktionale, das Kollektive eingebettet hatte. Das Moment des Individuums, zuvor methodisch zurückgehalten, kehrt nun als finale Würdigung zurück – und schwächt damit paradoxerweise die zuvor mit so großer Stringenz verfolgte Erzählstrategie.


Wäre der Film wenige Sekunden zuvor geendet, sein Nachhall hätte womöglich noch tiefer getroffen. Denn just in der Szene davor liegt seine eigentliche emotionale Wucht: Wir sehen die Familie, deren Haus von Soldaten okkupiert wurde, wie sie – eingesperrt im Nebenzimmer – jede Bewegung, jeden Schuss, jedes Schreien miterleben muss. Die Angst dieser Menschen, die von einem Krieg überrollt werden, dem sie weder politisch noch geografisch entkommen können, bleibt wortlos, aber überdeutlich spürbar. 


Gerade deshalb wirkt das letzte Bild wie eine verpasste Gelegenheit: Nicht der Veteran in Großaufnahme, sondern der Familienvater, der nun zögernd das Nebenzimmer verlässt und in einen Flur tritt, der vom Blut der Soldaten getränkt ist, hätte das erschütterndere, das ehrlichere Ende markiert. Er – nicht der Soldat – bleibt zurück. Er wird diesen Ort des Schreckens nicht verlassen, nicht körperlich, nicht erinnernd. In seinem Blick läge die Erkenntnis, dass Krieg nicht endet, wenn die Waffen schweigen – sondern dort, wo er sich unauslöschlich in das Gedächtnis der Überlebenden eingeschrieben hat.


Kaum ein Film der letzten Jahre hinterlässt eine derart bleibende Leere wie Warfare (2025) – eine Leere, die nicht auf Mangel, sondern auf Genauigkeit beruht. Garland und Mendoza zeigen Krieg nicht als Drama, sondern als Zustand – als Erosion des Menschlichen. Was bleibt, ist das Schweigen nach dem Schuss, der Blick in ein verwüstetes Haus, das nie wieder Heimat sein wird. Und die Erkenntnis, dass Krieg keine Geschichten kennt, sondern nur Verluste.


WERTUMG: ★★★★

  • Youtube
  • TikTok
  • Letterboxd
  • X
  • Spotify

bottom of page