I´m Still Here (2024)
- Florian Wolf

- 29. März
- 2 Min. Lesezeit
★★★½

Während die Familie Paiva scheinbar einen idyllischen Tag an dem traumhaften Strand
vor ihrem Haus verbringt, gerät ihre Tochter an einem Militärkontrollpunkt in einem
Tunnel in die Fänge der Staatsgewalt und spürt deren repressive Hand am eigenen
Körper. Bereits in den ersten Minuten von I'm Still Here (2024) etabliert Walter Salles den zentralen Gegensatz, der seinem Film zugrunde liegt: die Illusion von Freiheit und diecharte Realität der Unterdrückung.
Die Familie Paiva wirkt wie eine Oase, eine schützende Insel, die sie vor dem gewaltsamen Arm des Staates bewahrt. Der Film zeigt sie als lebensbejahende Gemeinschaft an einem der schönsten Strände der Welt, scheinbar am Rande wahrer Freiheit. Doch Salles erlaubt dieser Illusion nie, sich vollständig zu entfalten. Von Beginn an wird klar, dass diese Familie in den Augen des Regimes unerwünscht ist – ihre linke politische Haltung, aber vor allem der Vater (Selton Mello), ein ehemaliger Abgeordneter
und Kritiker des Regimes, machen sie zur Zielscheibe.
Ohne Vorwarnung wird er in einer unübersichtlichen, beunruhigenden Szene aus seinem Haus verschleppt und an einen unbekannten Ort gebracht. Seine Frau (Fernanda Torres) bleibt mit den Kindern zurück – und mit einem teil der Männern, die ihren Mann gerade mitgenommen haben. Dass es sich um Militärs handelt, kann sie nur vermuten, denn die in Zivil gekleideten Männer verweigern jede Auskunft. Genau in diesem Moment gelingt es Walter Salles, die Bedrohung mit filmischen Mitteln greifbar zu machen. Die heitere Stimmung der ersten Minuten wird schlagartig hinweggefegt, die kalte Realität eines totalitären Staates drängt sich in den Vordergrund. Hier beginnt Fernanda Torres’ Figur, die Handlung immer stärker zu dominieren. Plötzlich ist sie es, die die Familie schützen muss, insbesondere ihre kleinen Kinder – doch auch sie wird bald abgeführt werden und die Enge einer Gefängniszelle von innen sehen.
I'm Still Here (2024) erzählt von einer Familie, doch vor allem von einer Frau, die
gezwungen wird, in den Mittelpunkt zu treten und die Öffentlichkeit für sich zu gewinnen, um die Verbrechen ihres eigenen Staates aufzudecken. Über Jahre hinweg wird sie versuchen, herauszufinden, was mit ihrem Mann geschehen ist. Doch genau diesen Teil der Geschichte – den eigentlichen politischen Kampf, der im Zentrum des Films stehen sollte – überspringt der Film.
Für zwei Drittel seiner Laufzeit ist I'm Still Here (2024) ein überzeugender,
atmosphärisch dichter Politthriller, der mit seiner bedrückenden Stimmung und seinemWechselspiel zwischen Unterdrückung und Momenten der Freiheit überzeugt. Doch das letzte Drittel funktioniert nicht. Statt den mühsamen Kampf der Protagonistin zu erzählen, springt der Film direkt zum Ergebnis – dabei wäre es gerade dieser Weg
gewesen, der das Potenzial hatte, wirklich zu fesseln. So bleibt I'm Still Here (2024) ein
Film, der über weite Strecken fasziniert, nachdenklich macht und berührt, am Ende aber
an seinem unvollständigen Narrativ scheitert.



