The Lost Bus (2025) Kritik
- Florian Wolf

- 20. Okt.
- 4 Min. Lesezeit
★★★1/2 I Wenn der Himmel brennt: Über Ohnmacht und Verantwortung in The Lost Bus (2025)

X (2025) Kritik von Florian Wolf
Einer der ikonischen gelben Schulbusse, mit mehr als 20 Kindern voll besetzt, steht inmitten von Flammen, eingeschlossen vom alles vernichtenden Rot. Eine wirklich apokalyptische Szene, an die wir uns vielleicht gewöhnen müssen. Immer wieder ist in den Nachrichten während der Sommermonate nun von neuen und noch größeren Feuern auf der ganzen Welt zu hören – neue Feuer in Spanien, Griechenland oder sonst wo auf der Welt. Immer größere Brände, bei denen selbst die immer wieder herangezogene Maßstabsmetapher der Fußballfelder an ihre Grenzen kommt. Gefühlt: Je mehr dieser Meldungen zu hören sind, desto unwirklicher werden sie – sie verschmelzen ineinander. Aber die muss man sich leisten können, und noch können wir uns das leisten hier in Deutschland, wo alles so weit weg scheint und wir uns die Größe und Zerstörungskraft der Flammen gar nicht richtig vorstellen können. Für Menschen in anderen Teilen der Welt sind diese Waldbrände aber bereits Realität ihres Lebens – besonders Kalifornien ist in den USA betroffen.
Der neue Film von Paul Greengrass (Captain Phillips [2013], United 93 [2006], The Bourne Supremacy [2004]) versucht uns nicht nur verstehen zu lassen, was ein Feuer dieser Ausmaße bedeutet, sondern er versucht, die Angst und den Schmerz fühlbar werden zu lassen. Kevin (Matthew McConaughey) ist Fahrer eines Schulbusses in der kleinen Stadt Paradise. Ausgestattet mit jeder Menge persönlicher Probleme ist er nach dem Scheitern seiner Ehe wieder zurück in der Gegend, in der er einst aufwuchs und die er verließ. Das Script von Brad Ingelsby und Paul Greengrass, welches auf den wahren Begebenheiten des Feuers von 2018 und dem Buch Paradise: One Town’s Struggle to Survive an American Wildfire von Lizzie Johnson beruht, zeigt uns die Figur Kevin zu Beginn des Films absolut am Boden: Er muss seinen Hund zum Tierarzt bringen – den Kampf gegen den Krebs hat sein treuer Begleiter verloren. Seine Mutter leidet an Symptomen der Demenz, und sein Sohn im Teenageralter kämpft mit der Trennung der Eltern, aber vor allem mit seinem Vater. Kevin scheint auf keinen grünen Zweig zu kommen – doch weiß auch er nicht, wie harmlos diese Probleme in der Rückschau wirken müssen.
Greengrass gelingt es von Beginn an, die Naturgewalt des Feuers auf den Bildschirm zu übertragen – diese überwältigende Macht, mit der der Wind die Flammen in atemberaubendem Tempo vorantreibt. Sein dokumentarischer Stil kann bei diesem Thema seine volle Wirkung entfalten – egal ob in einer kurzen Episode, bei der ein Feuerwehrmann Dutzende Bewohner aus ihren Häusern rettet und sich mit ihnen in einem nahen Fluss zu schützen versucht, während die Feuerwalze über sie hinwegfegt. Aber auch im Bus von Matthew – in dem Moment, in dem er von Kindern erfährt, die in einer Schule feststecken und mit dem Bus geholt werden sollen. Ihm ist die Gefahr bewusst, er zögert, greift nicht nach dem Funkgerät, um sich zu melden – will kein Held sein. Er nicht. Er hat genug eigene Probleme, will seine Familie zuerst in Sicherheit bringen. Soll das doch bitte einer seiner Kollegen übernehmen. Doch die Sekunden vergehen, keiner meldet sich oder ist in der Nähe der Schule – er schon. Also muss er der Held werden, muss die Kinder aus ihrer Situation retten. Na gut, dann greift er halt zum Sprechgerät.
An der Schule angekommen, trifft er auf die Lehrerin Mary (America Ferrera) und die gut zwei Dutzend Kinder. Mary versucht, Ruhe zu bewahren – auch ihr ist die Lage, in der sie sich befinden, bewusst, doch vor den Kindern im Grundschulalter will sie ruhig bleiben. Als der gelbe Bus, nun beladen, vom Schulparkplatz auf die öffentlichen Straßen abbiegt, sehen sie Hunderte anderer Autos, die ebenfalls versuchen, vor den nahenden Flammen zu fliehen. Doch die Straßen sind verstopft, nichts geht mehr – und wenn doch, dann nur in einem Tempo, das vor der immer näher kommenden Gefahr kaum ausreichend wirkt. Doch irgendwie schafft es Kevin, diesen riesigen gelben Bus Meter für Meter nach vorne, in Richtung der geglaubten Sicherheit, zu manövrieren.
Die Flammen wirken nicht wie eine abstrakte Gefahr. Kameramann Pål Ulvik Rokseth, welcher zuvor eher durch einen ruhigen Stil in Filmen wie Handling the Undead (2024), Armand (2024) oder Munch (2023) aufgefallen ist, zeigt hier eine neue Seite von sich. Scheinbar mühelos adaptiert er seinen Stil an die Größe des Feuers und die Kraft der Zerstörung, die es in sich birgt. Im Bus kommt ihm sein Stil aus seinen anderen Filmen zugute – er ist nah an den Figuren und konzipiert den Bus als ein Kammerspiel inmitten des Chaos der Außenwelt. Die Kamera ist vor allem im Bus immer bei den Erwachsenen – America Ferrera und Matthew McConaughey –, deren Angst und Furcht zu sehen ist. Eine gute Entscheidung: nicht die Angst der kleinen Kinder auszuschlachten, um beim Publikum eine noch größere emotionale Reaktion zu provozieren. Der Fokus auf die Erwachsenen reicht vollkommen aus – ihre Sorgen und die Last der Verantwortung, die auf ihren Schultern liegt.
Der Film hat ein tolles Tempo, er geht immer voran, schafft es, Spannungsmomente aufzubauen, und fängt die Macht der Flammen immer wieder beeindruckend ein. Dem Zuschauer ist die Gefahr, in der sich die Figuren befinden, stets bewusst – durch eine geschickte Inszenierung, die nicht immer wieder das Feuer zeigt, sondern permanent in die Zentrale der Feuerwehr schaut. Hier werden dem Zuschauer die nötigen Informationen gegeben: Wo bewegt sich das Feuer hin, welche Teile der Stadt sind in Gefahr? Und in den Momenten, in denen das Feuer immer näher kommt und die Angst in den Augen und auf den Gesichtern der Feuerwehr und Rettungsdienste ablesbar ist, wird auch dem Letzten die Gefahrenlage noch einmal verdeutlicht.
FAZIT:
Greengrass’ The Lost Bus (2025) ist mehr als ein packendes Drama – es ist ein Spiegel unserer Gegenwart. Während Brände auf der ganzen Welt zunehmen und Katastrophenmeldungen zur Routine werden, zwingt uns der Film, wieder hinzusehen. Er erinnert daran, dass die Distanz, die wir aus sicherer Ferne wahren, trügerisch ist. Die Zerstörung, die hier ins Bild gesetzt wird, ist nicht nur physisch, sondern auch moralisch: die Zerstörung einer Empathie, die uns längst zu entgleiten droht. In diesem Sinne ist The Lost Bus nicht nur ein Film über Feuer, sondern über das, was es bedeutet, noch fühlen zu können.



